Zielspiele

In der heutigen Praxis des japanischen Bogenschießens lässt sich ein wenig der Geist vergangener Zeiten nachspüren, wenn man sich bei Zielspielen die symbolischen Bedeutungen vergegenwärtigt, die sich hinter den Motiven und Erscheinungsformen der Schießscheiben verbirgt.

Das Bogenschießen, wie es sich in den letzten 400 Jahren darstellt, war immer eine ein Versuch, Traditionen zu erhalten oder die eigene Geschichte in Erinnerung zu bringen.

Den Abschluss der zeremoniellen Neujahrsfeierlichkeiten bildete schon seit Beginn des achten Jahrhunderts ein Wettkampf im Bogenschießen), an dem nur Angehörige der höchsten Ränge teilnehmen durften.

Das Bogenschießen wurde auf dem Reitplatz ausgetragen, auf dem zwei Zielscheiben aus Hirschleder aufgestellt wurden. In den Ausführungsbestimmungen hierzu ist vermerkt, dass die kaiserlichen Prinzen und fremde Gäste unter vereinfachen Bedingungen teilnehmen durften, denn ihre Zielscheiben waren zwanzig Prozent größer als die Ziele der übrigen Teilnehmer. Fremde Gäste durften zudem die Bogen benutzen, die in ihrer Heimat üblich waren.

NORIYUMI, das Schießen zum Jahresbeginn im Palastgarten. Im Vordergrund sitzen die Vasallen beim Festmahl (Ausschnitt aus einem Stellschirm, Zeichnung F.E.).

Treffer auf die Lederscheibe wurden mit Ansage und einem Gongschlag verkündet. Beim äußeren Ring gab es einen Gongschlag, beim mittleren Ring zwei und beim inneren Ring drei Schläge. Nach dem Verkünden der endgültigen Gewinner und Übergabe der Preise wurde ein Festmahl mit Tanzvorführungen veranstaltet.

Schwarz-Weiß-Holzschnitt mit Adligen Bogenschützen aus der Kamakura-Zeit

 Der Hochadel bei Schießspielen (MATO ASOBI) auf eine kurze Entfernung. Da die langen Bögen der Krieger für die ungeübten Adligen zu unhandlich und schwer zu spannen waren, benutzte man kleinere Bögen, die keine große Spannung besaßen und die Pfeile nur wenige Meter weit trugen.

Eine solche Szene wird auch im GENJI MONOGATARI beschrieben, einem mittelalterlichen Liebesroman. Dies zeigte, dass die religiöse Bedeutung von Spiel, Sport und Zeremonien des Jahresbrauchtums mit der Zeit immer mehr an Bedeutung verloren hatten. Mindestens seit dem zehnten Jahrhundert war deshalb die Unterhaltung bei diesen Veranstaltungen weit wichtiger als der religiöse Hintergrund. Durch die zivile Seite der Kriegskunst und speziell des Bogenschießens entwickelten sich verschiedene Reiter- und Bogenspielen die zu besonderen Gelegenheiten veranstaltet wurden, welche Geschicklichkeit mit dem Bogen förderlich waren und zugleich auch eine standesgemäße Freizeitbeschäftigung darstellten.

Ein weiteres Ereignis, an dem Zielspiele und besondere Schießformen noch heute gepflegt werden, ist eine KAGAMI BIRAKI genannte Neujahrszeremonie: KAGAMI-BIRAKI heißt übersetzt „Öffnen des Spiegels“ oder auch „Öffnen des Deckels“ und beschreibt einen alten Samurai-Brauch, der zu Beginn des neuen Jahres ausgeführt wird. In japanischen Häusern stehen deshalb auch heute noch in der Neujahrszeit in den Hausaltären zwei Reiskuchen, die mit Früchten und Kiefernzweigen geschmückt sind. Die Kuchen sind in ihrer Form alten, heiligen Spiegeln nachempfunden und sie werden an diesem Tag zerteilt und gegessen. Damit war der zuvor durch die Weihegaben verdeckte Spiegel wieder „offen“. Es war in alten Zeiten auch der Tag, an dem die Samurai nach den Feiertagen zum ersten Mal ihre Rüstungen wieder anlegten und mit dem Trinken von heiligem Reiswein das Treuegelübde zu ihrem Lehnsherrn erneuerten.

KAGAMI BIRAKI in Japan eine beliebte Tradition bei der auch Schießspiele veranstaltet werden

Zielspiele (MATO ASOBI) in heutiger Zeit

In Folge stellen wir einige Beispiele historisch überlieferter Schießspiele und MATO-Varianten vor, wie sie auch heute noch in der einen oder anderen Form zu besonderen Gelegenheiten, wie am Ende eines Trainingslagers, eines Wettkampfes oder aber zu Neujahr (Jahresende, wie Jahresanfang) Anwendung finden. Die Zielspiele im Kyudo sollen den Beteiligten vor allem Spaß machen, den Gemeinschaftssinn stärken und allen Beteiligten eine Chance geben ihre Geschicklichkeit und ihr Glück auf die Probe zu stellen.

Besonders schön ist in Japan die Geste, dass jeder Teilnehmer wie beim Julklapp, ein kleines Geschenk, das er vor dem Wettkampf dem DŌJŌ-Leiter übergibt, spendet. Dieser übernimmt am Ende des Wettkampfes dann auch die Verteilung, bei der niemand zu kurz kommen sollte.

KOHAKU (Weiß und Rot) 紅白

Abb. Eicher

Das MATO besteht hier aus einem Kreis von 45 cm Durchmesser, der vertikal in einen weißen und roten Halbkreis geteilt ist. Es wird in zwei Durchgängen mit jeweils 2 Pfeilen geschossen und dabei ist die rote Hälfte einmal links und einmal rechts.
Zwei Schützen schießen gleichzeitig auf dieses MATO und zwar so, dass der vordere Schütze nur in das hintere Feld des MATO und der hintere Schütze nur in das vordere Feld des MATO schießen darf. Es wird also überkreuz geschossen. Wird das MATO verfehlt, wird keine Wertung berechnet. Wird in das falsche Feld geschossen, so gibt es Minuspunkte. Das Treffen der richtigen Fläche wird mit hoher Punktzahl belohnt.

Die Historie und die Symbolik des KOHAKU, Weiß und Rot MATO (白赤的), wie auch des ŌGI NO MATO (Fächerscheibe) gehen auf den GEMPEI-Krieg (源平合戦) zurück. In den Jahren von 1180 bis 1185 tobte diese Auseinandersetzung um die Herrschaft in Japan an der die angesehenen Samurai-Familien der MINAMOTO (, auch 源氏, GENJI benannt) und TAIRA , auch 平家, HEIKE genannt) beteiligt waren.
Die MINAMOTO trugen weiße und die TAIRA rote Banner.
Gewonnen wurde der GEMPEI-Krieg historisch von den MINAMOTO mit den weißen Bannern. Daher wird das Treffen der falschen Seite des MATO mit Minuspunkten „bestraft“, da man ja dann seine eigenen Leute getroffen hat.

SHICHI-GO-SAN (7-5-3-Mato) 七五三

Abb. Eicher

Bei diesem Wettbewerb wird ein normales MATO von 36 cm benutzt, dessen Vorderfläche in drei gleichgroße Ringe mit verschiedenen Farben eingeteilt ist. Die Ringe werden mit entsprechenden Trefferzahlen belegt, der Innenring 7, der Mittelring 5, der Außenring 3 Punkte. Gewöhnlich werden gegen diese Scheibe 4 Pfeile geschossen.

SAN-DAN-MATO (Drei-Schritt-Mato) 三的

Abb. Eicher

Die Bezeichnung rührt daher, dass man drei verschieden große Zielscheiben benutzt (z. B. 15 cm, 24cm und 36cm).
Auch gegen diese Formation von Zielscheiben wird im Team zu zweit geschossen und jeder Schütze hat zunächst drei Pfeile. Zuerst wird ein Pfeil gegen das große MATO geschossen. Trifft er, schießt der nächste Schütze gegen das nächst kleinere und so fort. Die Zählweise dabei ist frei. Werden mit dem ersten Durchgang alle drei MATO erreicht, ist dieser Durchgang beendet. Werden die drei MATO erst nach dem dritten oder vierten Durchgang getroffen, so zählen die Treffer bei jedem nachfolgenden Durchgang weniger als beim vorherigen.

AGARI MATO 上がり的

Abb. Eicher

Den Begriff kann man mit „Nacheinander Ziele abfertigen“ übersetzen.
Bei den AGARI MATO handelt es sich um mehrere, meist fünf oder sieben HOSHI MATO unterschiedlicher, meist aufsteigender Größe (z.B. 12, 24, 36, 45 cm) die beieinander aufgehängt werden. Auf die verschieden großen Ziele wird in festgelegter Reihenfolge geschossen.

Foto Eicher

Die verschiedenen Durchmesser der kleinen MATO hatten ihren ursprünglichen Bezug aus den Zielflächen des kriegerischen Schießens (TEKI MAE, die dritte der fünf Schießarten (GOSHA) der HEKI-Schule, auch YŌ MAE genannt).

IWARI 射割

Abb. Eicher

IWARI bedeutet wörtlich „durch Schießen etwas zerteilen“. Zerteilt wird hierbei eine quadratische Holzscheibe von 15 – 20 cm Kantenlänge, die sich mit der Spitze auf einem Stab stehend in etwa 20 – 24 m Entfernung vom Schützen befindet. Der Mittelpunkt der Scheibe muss sich in der Höhe der normalen Flugbahn befinden, wenn man den Schuss gegen das 28 m Ziel voraussetzt. Auf der Rückseite, der aus leicht zerbrechlichem Holz gefertigten Scheibe befindet sich ein kleiner Papierbeutel, der mit Konfetti gefüllt ist. Wird das IWARI-MATO getroffen, zerplatzt er und eine bunte Konfettiwolke verteilt sich in alle Richtungen.
Beim IWARI-MATO stehen jedem Schützen normalerweise zwei Pfeile zur Verfügung.

HASAMI-MONO (auch Kisha Hasami Mono) 騎射挟物 / 騎射挿物

Abb. Eicher

Ein Zielgegenstand, der in einen gespaltenen Stab eingeklemmt wird.
Beim HASAMI MONO handelt es sich um 8-SUN (24 cm) große, viereckige Bilder auf Zedernholzbrettchen, die man in das obere 1-SHAKU 2-SUN (36 cm) lange Stück eines Bambusstabes festklemmte. Die Bilder oder Figuren können Blätter, Blüten oder Muscheln nachempfunden sein.
Früher galt es sieben Stöcke auf einer Länge von 15 Metern zu schießen. Im Allgemeinen schoss man im HOSHA auf diese Ziele, früher gab es auch die Variante des KISHA HASAMI MONO und es wurde zu Pferd auf diese Ziele geschossen. Der Gebrauch von Fächern, gefalteten Papieren und Muscheln als Ziele ist wohl als Ursprung für den Brauch des Festklemmens der Holzplättchen auf die Bambusstangen anzusehen. Eine Steigerung dieses Zielspiels war in alten Zeiten nach dem Abschießen der Brettchen die Spitzen der Bambusstäbe abzuschießen.

TATE ICHI 縦位置 – YOKO ICHI 横位置

Abb. Eicher

Dieses Zielspiel hat seinen Namen von der Schreibweise der Eins im Japanischen = ICHI, und zwar wird der Strich einmal senkrecht – TATE – und einmal waagerecht liegend – YOKO – gezeichnet. Die ,,Eins“, gegen die es zu schießen gilt, besteht aus einer Fläche von 60 x 15 cm, mit einem schwarzen Kreis (Ø 10 cm) in der Mitte, die einmal senkrecht und einmal liegend im Zielbereich aufgestellt wird. Pro Lage stehen jedem Schützen zwei Pfeile Für dieses Zielspiel zur Verfügung.

E Mato 絵的

Fotos Fritz Eicher

Zielscheiben mit Bildmotiven, wie man sie schon im alten China benutzte. Zu Neujahr ist es beliebt gegen ein MATO zu schießen, auf welches das Tier gemalt ist, das gemäß dem chinesischen Tierkreis das neue Jahr repräsentiert. Dem Schützen, dem es gelingt, ins Auge des jeweiligen Tiers zu schießen, soll das Jahr besonderes Glück bringen. E-Mato ist der allgemeine Begriff und kann auch Motive aus Bildrollen oder andere Tier- und Pflanzendarstellungen beinhalten. Die Scheiben mit den Tierkreiszeichen sind heute besonders beliebt.

ŌGI NO MATO (Fächerscheibe) 扇の的

Abb. Eicher

Ein einfacher Papierfächer wird entweder an einer Schnur vom Dachbalken des Zielbereichs vor dem AZUCHI aufgehängt, oder aber – wie beim IWARI-MATO – auf einem Stock im Vorfeld aufgestellt. Manchmal wird der Fächer auch wie ein MATO am AZUCHI oder dem Pfeilfänger befestigt.

Pro Schütze werden zwei Pfeile auf dieses Ziel geschossen. Die Art dieses Ziels geht auf eine berühmte Begebenheit aus den Kriegen der HEIKE gegen die GENJI zurück. In der Schlacht von DAN-NO-URA besiegten die MINAMOTO die TAIRA-Familie endgültig und entschieden den GEMPEI-Krieg so für sich. Es wird berichtet, dass sich in der vorausgegangenen Schlacht bei YASHIMA aus der Menge der Kriegsdschunken ein kleines Boot löste, vor dessen Mast eine Hofdame ihren Fächer aufgehängt hatte. Der Heerführer MINAMOTO YOSHITSUNE gab dem SAMURAI NASO NO YOICHI den Befehl, den Fächer herunter zu schießen. Dieser schwang sich auf sein Ross, ritt in das Meer und schoss gegen den sich im Wind bewegenden, am schwankenden Mast befestigten Fächer. Seine Kunst war aber so groß, dass er den Fächer genau im Angelpunkt der einzelnen Streben traf, so dass dieser in seine Bestandteile zersprang.